Es war am zweiten Tage der großen Angriffsschlacht im Raume der Champagne vom 15. bis 18. Juli 1918. Die alte französische Stellung mit ihrem Gewirr von Gräben und Unterständen hatten wir am ersten Tage überrannt und sie lag nun in kurzer Entfernung hinter uns im Rücken. Der Kampf hatte den Charakter einer offenen Feldschlacht angenommen. Das Regiment lag auseinandergezogen in fast offenem Gelände; in den einzelnen Laufgräben, die zur alten französischen Stellung führten, hatten sich einige Gruppen von uns festgesetzt. Überhaupt forderte unsere Lage, die Geländeverhältnisse auf das Eifrigste auszunutzen. Jede Mulde, Bodenfalte, jeder alte Abflußgraben oder Strauch wurde zur Deckung gegen Sicht eingenommen. Vor uns zerstreut und sehr gut versteckt lagen einige feindliche Maschinengewehr-Nester, die anscheinend das ganze Gelände beherrschten; diese waren gut versteckt und machten uns viel zu schaffen. Unsere Artillerie und Minenwerfer mußten immer wieder diese Maschinengewehrnester unter Feuer nehmen, um uns das Vorwärtskommen zu erleichtern. Kaum machten wir aber einen Sprung vorwärts, in der Meinung, daß die feindlichen Maschinengewehre zum Schweigen gebracht wären, so rasselten sie aufs Heftigste von neuem los und rissen lichte Lücken in unsere Reihen. Meine Gruppe lag etwas gesondert zurück auf einer kleinen dammartigen Anhöhe. Hier oben, in zwei zusammen- hängenden flachen Granattrichtern, hatten wir gute Deckung gegen Sicht; gleichzeitig hatten wir von hier nach allen Seiten eine treffliche Übersicht. Von feindlicher Seite schienen sie uns noch nicht entdeckt zu haben, denn wir blieben von ihrem Feuer ganz unbehelligt. Die Kampftätigkeit war auf beiden Seiten so ziemlich abgeflaut. Wir waren gezwungen, Patronen zu sparen, denn unser Patronenwagen war kurz vor seinem Ziel in Brand geschossen worden. Mit dem Fernglas zurückschauend konnten wir ihn deutlich erkennen, und wenn es einen Moment still war, konnten wir auch das Explodieren der brennenden Patronen hören. Ehe neue Munition herbeigebracht war, konnten noch Stunden vergehen, und so hieß es abwarten. In dieser Pause lagen wir meistens alle lang hingestreckt an der Erde in festem Schlafe, denn seit mehreren Tagen hatte kein Auge von uns Schlaf gefunden. Erheblich schlimmer als die Müdigkeit war der Durst. Tagsüber herrschte eine brennende Hitze. Hierzu gesellte sich der Qualm der explodierenden Granaten, der wie ein Nebelschleier über dem Gelände lag und sich wie eine feste Kruste an das Gesicht, hauptsächlich an den Lippen und Schleimhäuten, festsetzte und die Durstqualen noch erheblich erhöhte. Wie schon gesagt, lag meine Gruppe auf einer kleinen Anhöhe. Nach rückwärts schauend lag die etwa 5-600 Meter entfernte alte französische Stellung. Gleich wo der Laufgraben in diese Stellung einmündet, hatten die Franzosen für ihren Wasserbedarf eine mit zwei hohen Schwungrädern nebst Kurbelanlage versehene große 40-50 Meter dicke Kreideschicht der Champagne zu durchstoßen, um zum Grundwasser zu gelangen. Im weiten Raume mußte dies die einzige Pumpe gewesen sein, denn dauernd war sie von allen Truppengattungen unserer Division in der Stärke von 15 bis 40 Personen umlagert. Viele hatten gewiß schwierige Wege zurückgelegt, um zu einem Tropfen Wasser zu gelangen. Ich war auch mehrere Male dort. Die Pumpe gab, wahrscheinlich weil Tag und Nacht in Gang gehalten, nur noch wenig Wasser. Es war ein schauderhaftes "Gesöff", aus dem Kreideboden entnommen, dickflüssig wie eine zum Weißen der Zimmerdecke fertige Flüssigkeit. Eine zum Reinigen des Wassers angelegte Filteranlage war zur Seite geschoben und stand in keiner Verbindung mehr zur Pumpe. Wahrscheinlich war der Filter, weil es den Wartenden zu lange währte, bis sie zum ersehnten Trunk kamen, ausgeschaltet worden. Nun trank jeder sofort gierig dieses ungereinigte Wasser herunter, um die Durstqualen etwas zu lindern. Der feindlichen Beobachtung ist diese Ansammlung an der Pumpe nicht verborgen geblieben; nachdem sie erst mit mehreren Geschützen die Gegend an der Pumpe unter Feuer genommen hatten, setzte dies später ein schweres Geschütz allein fort. In einem ungefähren Abstand von 20 Minuten schoß es eine schwere Brisanzgranate nach der anderen dicht an die Pumpe oder in die nahe Umgebung. Von meinem Standpunkt konnte ich dieses trefflich beobachten. Schlug eine Granate dort ein, so stob alles, was die Pumpe umlagerte, auseinander und sobald der Qualm sich verzogen hatte, stand alles wieder um die Pumpe. Fast jedesmal gab es neue Blutopfer. Eine ganze Anzahl von Toten lag schon dort und man sollte annehmen, daß diese die eindringlichste Warnung für alle abgeben würden. Aber weit gefehlt! Die Durstqualen erwiesen sich stärker als die Gefahr, von der Granate zerrissen zu werden. Sehr verwunderlich war es, daß die Pumpe trotz einiger Treffer von Granatsplittern nicht zerstört wurde; sie blieb die ganzen Tage für uns gebrauchsfähig. Es ist ganz natürlich, daß wir von unserem Standort auch öfters rückwärts schauten. Da, plötzlich beobachteten wir in der alten französischen Stellung sechs französische Soldaten. Gleich wurden von uns allerlei Vermutungen über deren Bewandtnis angestellt. Mit dem Fernglas erkannten wir Leutnant Frhrn. v. Elverfeldt mit vier Mann der Unsrigen und sechs z.T. chargierte französische Soldaten. Zu dieser Beobachtung habe ich nachher Folgendes gehört: Von unseren Maschinengewehr-Eskadrons war eine als Reserve zurückgehalten worden. Diese hatte es sich den Verhältnissen entsprechend in der alten französischen Stellung bequem gemacht. Die Leute hatten die letzte Nacht in den durch unser Trommelfeuer nicht zerstörten Unterständen schlafend zugebracht. Am anderen Morgen hatte diese Maschinengewehr-Eskadron annähernd 30 Tote, die auf geheimnisvolle Art ums Leben gekommen waren. Die Merkmale ergaben, daß bei sämtlichen der Tod durch Gase eingetreten war. Aber wie? Die letzte Nacht hatte die feindliche Artillerie nicht mit Gasgranaten geschossen. Was anderes mußte also die Ursache sein. Die nähere Nachforschung hat ergeben, daß die Franzosen, ehe sie ihre Stellung verlassen mußten, in viele Unterstände, versteckt hinter Verschlägen und dergl., geöffnete und mit einer chemischen Flüssigkeit gefüllte Flaschen gestellt hatten. Durch die offene Flasche kam die Luft mit dem Inhalt in Berührung und verursachte dessen langsame Verdunstung. Hierdurch entstand das sogenannte ""Blau-Kreuz-Gas". Leute, die sich in solchen Unterständen zum Schlafen niederlegten, merkten durch Geruch nichts und wachten, je nachdem welche Dosis sie eingesogen hatten, nicht wieder auf. Eine derartige heimtückische Kampfweise war uns nie begegnet. Solange wir die französische Stellung in unserem Besitz hatten, lag die Gefahr sehr nahe, daß diese Fälle sich wiederholten. Für Nichteingeweihte war es sehr schwer, diese vergifteten Unterstände aufzufinden. Zur Erkennung dieser Unterstände wurden einige von den tags zuvor gemachten Gefangenen, die Kenntnis davon hatten, zurückgeholt. Leutnant Frfr. v. Elverfeldt hatte den Auftrag vom Regiment. (Der Auftrag muß von der Division ausgegangen sein; dieses ist daraus zu schließen, daß sich in seiner Begleitung auch Angehörige anderer Regimenter befanden, so z.B. ein Jäger, auf den ich noch später in diesem Bericht zurückkommen werde). Der Herr Leutnant soll also den Auftrag gehabt haben, mit den zugeordneten Leuten und den sechs Kriegsgefangenen die betreffenden Unterstände zu ermitteln, die Ursache zu entfernen, die Zugänge zu versperren und vor dem Zutritt kenntlich zu warnen. Die sechs Gefangenen sagten aus, daß diese Unterstände dadurch kenntlich gemacht sind, daß über deren Eingangstür ein kleines mit blauer Farbe gezeichnetes Kreuz angebracht ist. Diese Kenntlichmachung ist, falls die Stellung wieder zurückerobert wird, zur Vorsicht für ihre eigenen Leute angebracht worden. Nachfolgend sahen wir von unserem höher gelegenen Standort, in der Ausführung seines Auftrages, Leutnant Frhrn. v. Elverfeldt mit den obigen Leuten noch öfters im Labyrinth der Gräben auftauchen und wieder verschwinden. Nach einer Unterbrechung von einigen Stunden wurde das Feuer von feindlicher Seite immer heftiger und steigerte sich bis zum Trommelfeuer. Das Feuer lag hauptsächlich auf der alten französischen Stellung und weiter hinten, wo unsere Artillerie in Stellung stand. Bisher war meine Gruppe auf unserer kleinen Anhöhe so ziemlich von allen Geschossen unbehelligt geblieben; da plötzlich schlugen wie zum Abschied der Beschießung jetzt mehrere Granaten in unserer dichtesten Nähe ein. Die auffliegenden Stein- und Erdmassen prasselten auf uns nieder. Hierbei erhielt ein Kamerad meiner Gruppe einen Granatsplitter in den Kopf. Weit spritzte ein Blutstrahl aus einem Loch an der Schläfe. Der Verwundete sprang auf, lief einige Schritte vorwärts, drehte sich wieder nach uns um und stürzte auf dem Rand des alten Granattrichters tot zu Boden. Durch diesen Vorgang war auch ein feindliches Maschinengewehr auf uns aufmerksam geworden, dessen ganze Geschossgarbe prasselte nun auf uns nieder. Der tote Kamerad, der nach der feindlichen Seite sehr sichtbar lag, wurde von ungezählten Kugeln nochmals durchschossen. Indessen lagen wir anderen platt, das Gesicht tief zu Boden gedrückt, in dem alten sehr flachen Granattrichter. Wir hörten wohl, daß hinter uns an dem flach ansteigenden Abhang jemand laut schrie, wir wagten aber nicht, solange wir das Ziel des feindlichen Maschinengewehrs waren, den Kopf zu heben. Kaum hatte das Maschinengewehr das Feuer nach uns eingestellt, so war auch der Kamerad, von dem vorhin das Schreien ausging, näher an uns herangekrochen und rief uns zu: "Schnell, schnell, alle die einen Spaten haben, herkommen! Leutnant v. Elverfeldt ist verschüttet!" Unsere Gruppe lag der verschütteten Stelle am nächsten. Hiervon war ich der einzige, der einen kleinen Schanz- oder Infanteriespaten besaß. Schnell lief ich mit meinem Spaten den Abhang hinunter. Die Stelle der Verschüttung lag etwa 50-70 Meter von der oben genannten Pumpe. Der Unterstand war in einiger Tiefe nicht von der Granate von oben eingedrückt, sondern die Explosion hatte von unten herauf stattgefunden. Nach der Geschosswirkung konnte es sich nur um eine sogenannte Brisanzgranate gehandelt haben, welche sich erst tief in die Erde einbohrt und dann explodiert. Sehr wahrscheinlich rührte diese Granate von selbigem feindlichen Geschütz her, welches, wie schon oben erwähnt, in gewissen Abständen streuend nach der Pumpe schoss. Schnell ging es hinunter in den Unterstand. Leutnant Springorum, der mit zwei Mann bereits dort war, rief bei meinem Anblick: "Endlich kommt einer, der einen Spaten hat ! Nun aber schnell, schnell !" Ich ging mit aller Hast daran, sah aber, daß die Erd- und Geröllmassen von oben immer wieder nachfielen, so daß wir nicht vorwärts kamen. Ich teilte dieses Leutnant Springorum mit. Er fragte, ob ich Bergmann wäre ? Ich sagte ihm, daß ich etwas davon verstände. "So machen Sie schnell, was Sie für nötig halten. Die Hauptsache ist, daß wir schnellstens den Verschütteten freigelegt bekommen." Schnell stützte ich, mit einigen von der Explosion losgerissenen Brettstücken, nach oben die Erdmassen ab und gleich ging es mit besserem Erfolg weiter. Jeder half nun, mit bloßen Händen oder kurzen Brettstücken nach Kräften mit, zu graben. Zuerst mußte der Jäger, der mit zur Begleitung Leutnants v. Elverfeldt gehört hatte, freigelegt werden. Dessen Kopf war beim Graben zuerst zum Vorschein gekommen, aber die Meinung, daß er schnell freigelegt sein würde, erwies sich als ein großer Irrtum. Dieser Jäger steckte senkrecht im Erdboden, und daneben, tief in den Geröllmassen, sollte sich nach Angaben eines Vizewachtmeisters Leutnant v. Elverfeldt befinden. Dieser Vizewachtmeister, der ebenfalls zum Begleitpersonal Leutnant v. Elverfeldts bei der Feststellung der vergasten Unterstände gehörte, und im Moment der einschlagenden Granate bei den Gefangenen am Ausgang des geräumigen Unterstandes gestanden hatte, schilderte die Situation kurz zuvor folgend: Solange diese heftige Beschießung dauerte, hielt Leutnant v. Elverfeldt es für ratsam, deren Ende in diesem Unterstand abzuwarten. Dort, wo jetzt der Jäger steckt, 4 bis 5 Meter vom Ausgang entfernt, stand ein Tisch. An diesem hatte sich Leutnant v. Elverfeldt niedergesetzt und sich gerade eine Zigarette angezündet. Die Pistole, die er bisher in der Hand getragen hatte, lag vor ihm auf dem Tisch. Der Jäger saß in der Nähe an der anderen Tischseite. In dem Unterstand, der mehr als Zweidrittel verschüttet war, herrschte eine erstickende schwüle Luft. Es war dort so beengt, daß wir nicht wußten, wo wir die ausgehobene Erde lassen sollten. Des Öfteren kamen einzelne Offiziere, um sich nach dem Fortschritt der Ausgrabung zu erkundigen. Indessen hatte ich den Jäger bis an die Waden freigegraben und doch konnten wir ihn trotz aller Anstrengung nicht herausziehen. Die Füße staken im Erdboden fest. Vorher hatte ich bereits mit dem Messer ein rundes Loch in den Stiefelschaft geschnitten, dort mit der Spitzhacke hineingefasst und so mit größter Kraft versucht, ihn herauszuziehen. Es nutzte alles nichts, der Stiefelschaft wurde dabei ganz aufgerissen und ich mußte dazu übergehen, das ausgehobene Loch zu erweitern. Der Jäger, der erst einige Male aufschrie, war nun gänzlich bewußtlos. Während ich dabei war, die Füße des Jägers frei zu bekommen, machte ein Feldarzt und ein Sanitäter bei ihm künstliche Atmung. Endlich hatte ich die Ursache. Die Beine waren am Fußgelenk zwischen Brettern fest eingeklemmt. Dieses war uns nun auch erklärlich; der Jäger, der bekanntlich am Tisch gesessen hatte, war bei der Explosion aufgesprungen. Im selben Moment stürzten auch die Erd- und Geröllmassen durcheinander, der Tisch und die Sitzbank wurden niedergedrückt und schlossen sich hierbei, die Tischplatte von vorne und die Sitzbank von hinten, die Beine einklemmend, fest zusammen, so daß der Jäger, wie eingemauert, mit seinen Füßen festsaß. Nachdem es mir gelang, das einklemmende Holz mit der Spitzhacke zu zersplittern, bekam ich seine Füße frei. Nun konnten ihn die Sanitäter ins Freie bringen und oben die Wiederbelebungsversuche fortsetzen. Jetzt gab es mehr Luft und mit aller Anstrengung ging es weiter, um Leutnant v. Elverfeldt darunter frei zu bekommen. Das Loch war aber so eng, daß ich nur allein mit dem kleinen Spaten arbeiten konnte. Endlich hatte ich festen Grund, wahrscheinlich war es die Tischplatte, auf der ich nun unaufhörlich fortschippte. Hierbei rollte mir aus dem Geröll die Pistole auf den Spaten; ich steckte sie zu mir, ohne gleich daran zu denken, daß diese die des Leutnants sein könnte. Solche kleinen handlichen Pistolen waren gegenüber der schweren Armeepistole 08 von uns sehr begehrt, waren sie doch in mancher Kampfsituation eine direkte Idealwaffe. Daher der verständliche Wunsch eines jeden von uns, eine solche zu besitzen. Nachdem ich die Stelle ganz freigelegt hatte, wo nach Angabe des Vize- Wachtmeisters Leutnant v. Elverfeldt beim Einschlag der Granate gewesen ist, war es uns allen ein Rätsel, daß er nicht dort zu finden war. Die Angabe des Vizewachtmeisters wurde bezweifelt; er blieb aber mit Bestimmtheit bei seiner Angabe. Der Feldarzt, der bisher mit Wiederbelebungsversuchen des Jägers beschäftigt war, war nach unten gekommen und sagte zu den Offizieren: "Habe den Jäger nicht retten können, kaum ins Freie getragen, verstarb er." Irgend jemand schlug vor, mit Hilfe von geeigneten Werkzeugen in größerem Maße auszugraben in der Hoffnung, Leutnant v. Elverfeldt noch lebend zu retten. Der Feldarzt hielt es für förmlich ausgeschlossen, daß Leutnant v. Elverfeldt noch am Leben war. Ohne den großen Zeitverlust, der durch die Herbeischaffung von geeigneten Werkzeugen verursacht sei, sei doch der Jäger ein hinreichender Beweis dafür; trotz schneller Hilfe konnten wir ihn nicht am Leben erhalten. Diese Ausführung löste bei allen Anwesenden große Enttäuschung und tiefes Bedauern aus; Leutnant v. Elverfeldt nicht mehr unter den Lebenden zu wissen, wollte uns nicht in den Sinn, aber dieser Jäger war ein zu offensichtlicher Beweis. Wir waren schon manches durch den langen Feldzug gewöhnt, trotzdem nahm ein jeder einen so starken Anteil, als wenn es sich um einen eigenen lieben Verwandten handelte. Im Begriff jetzt nach der anderen Seite, wo bisher die ausgehobenen Geröllmassen hingeworfen waren, weiterzugraben, kam plötzlich der Ruf von oben: "Alles schnell rauskommen." Wir raus, an dem toten Jäger vorbei, ein jeder zum alten Platz. Ein feindlicher Gegenangriff wird erwartet, und wir hatten schon genügend Lücken in unseren Reihen und konnten bei der Abwehr auf keinen Mann verzichten. Mißmutig, und bitter enttäuscht über die erfolglose Plagerei bei der Ausgrabung, kehrte auch ich zu meiner Gruppe zurück. Leutnant v. Elverfeldt war es unter allen Umständen darum zu tun gewesen, den Auftrag der Division auszuführen. Die meiste Arbeit im Sinne des Auftrages ist schon getan. Da, plötzlich führt die feindliche Artillerie ein heftiges Feuer auf die Stellung aus. Die Gefangenen zeigen sich unruhig. Ein Verlust durch Tod oder Verwundung bei seinen Leuten und den mitgeführten Gefangenen hätte der Sache wenig gedient. Der Herr Leutnant kann mit seinen Leuten diese Unruhe der Gefangenen verstehen; haben wir doch tags zuvor Erfahrung genügend gehabt, wo bei unserem Vorgehen einzelne unserer Geschütze zu kurz in unsere eigenen Reihen schossen. Es ist für einen Soldaten ein eigenes, deprimierendes Gefühl, dem Feuer und dem Geschosshagel seiner eigenen Landsleute ausgesetzt zu sein. In Erkenntnis dessen und um die Vollendung des Auftrages nicht zu gefährden, hält es der Leutnant für dringend geboten, in einem zunächst gelegenen Unterstand das Ende der Beschießung abzuwarten. Im Unterstand selbst setzt der Herr Leutnant sich, die Gefangenen im Auge behaltend, an den Tisch, zündet sich eine Zigarette an, um so mit gelassener Ruhe der Aufregung der Gefangenen zu begegnen. Da plötzlich durchschlägt eine schwere Brisanzgranate die dem Leutnant am nächsten gelegene Ecke des Unterstandes, dringt bis unter die Sohle ein, explodiert und verschüttet mit ihren hochgeschleuderten Erd- und Geröllmassen den Leutnant und den in seiner Nähe weilenden Jäger. Der Vizewachtmeister erhält ebenfalls noch einen erheblichen Anteil von den Erdmassen, kann aber dennoch schnell das Freie gewinnen, wohin die anderen beiden Leute mit den Gefangenen, die direkt am Ausgang standen, längst vorausgeeilt sind. Dies wäre im Allgemeinen das Bild kurz vor und während der Verschüttung. Der erwartete Gegenangriff kam nach einem nochmals vorausgegangenen Trommelfeuer erst morgens gegen 5 Uhr. Er wurde von uns nach ungefähr zweistündiger Gegenwehr restlos abgewiesen; dabei hatten wir beim Nachsetzen noch erhebliches Gelände gewonnen. Nun trat für uns, abgesehen von dem ständigen Artillerieduell, eine mehrstündige Kampfpause ein. Übermüdet lagen wir in der Feuerlinie und dösten vor uns hin. Da ging mit einemmal wie ein Lauffeuer die Meldung durch, Leutnant v. Elverfeldt ist eben von den Pionieren ausgegraben worden. Bei dieser Nachricht eilten einige Leute, soweit es die Disziplin zuließ, zurück, um ihn noch einmal zu sehen. Nicht Neugierde bewog die Leute dazu (denn Tote hatten wir ständig in der Nähe), sondern um letztmalig Abschied zu nehmen von einem in so hohem Maße beliebten Offizier und Vorgesetzten. Auch ich eilte mit zurück; war ich zu allem noch besonders interessiert zu erfahren, aus welcher Ursache die gestrige Nachgrabung ohne Erfolg gewesen war. Die Entfernung von uns bis zur Stelle der Verschüttung hatte sich durch den Geländegewinn erheblich erweitert. Bei meiner Ankunft fand ich 8 bis 10 Pioniere vor; wenn ich mich recht erinnere, so hatten sie auf den Achselklappen die Nummer 18. Den Unterstand fand ich abgerissen und in seiner ganzen Fläche bis unter die Sohle ausgehoben. Ich ließ mir die Fundstelle erklären. Sie hatten Leutnant v. Elverfeldt auch erst gefunden, nachdem der ganze Unterstand bis auf Weniges ausgehoben war. Nicht an der betreffenden Stelle, wo wir am gestrigen Tage nachgruben, ist er gefunden worden, sondern einige Meter davon, an der schmalen Seite zum Ausgang. Demnach muß der ganze Körper des Leutnants v. Elverfeldt von der Wucht der Explosion aus seiner Grundstellung durch den ganzen Raum geschleudert sein, ist hart an der Ausgangswand angeschlagen, zu Boden gestürzt und von nachstürzenden Sand- und Geröllmassen verschüttet worden. Somit ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, falls wir am gestrigen Tage Leutnant v. Elverfeldt sogleich gefunden hätten, er nicht mehr am Leben sein konnte. Nachdem die Bekleidung des Leutnants vom gröbsten Sand und Staub gereinigt war, hatten ihn die Pioniere an freier Stelle hingebettet. Hier sah ich unter anderem auch die am angelegten Riemen leere Pistolentasche. Nach Größe und Form der Pistolentasche zu schließen, kam mir erstmalig der Gedanke, daß die beim Ausgraben am gestrigen Tage gefundene Pistole, welche jetzt beim Gepäck zurückgelassen war, unzweifelhaft die des Leutnants Frhrn. v. Elverfeldt sein mußte. Die obige Angabe des Vizewachtmeisters, daß die Pistole zuvor auf dem Tisch gelegen hatte, ist ein weiterer Beweis dafür. Immer noch kamen einzelne Leute aller Dienstgrade des Regiments hinzu und umstanden die Leiche des gefallenen Offiziers. Von allen, die dort kamen und gingen, hörte man immer nur Aussprüche tiefsten Bedauerns über den Tod des populären und tapferen Offiziers. Zuletzt tat jemand den hier zu Recht angewandten Ausspruch: "Ja, unsere Besten fallen immer zuerst," und mit dem Kopf nickend pflichteten wir ihm alle bei. Nun rief die Pflicht und wir mußten zurück, noch ein Blick zum Abschied und weiter ging es, wo neue Aufgaben uns erwarteten. Später, wenn wir gelegentlich in kleinen Gruppen lagerten, so ließen wir hierbei auch unsere gefallenen Kameraden Revue passieren. Jeder von uns hatte dort jemanden darunter, der ihm besonders nahe gestanden hatte. Immer wurde hierbei der Tod Leutnants v. Elverfeldt in Erinnerung gebracht. "Durch dick und dünn konnte man mit ihm gehen," sagt jemand. Diese in der Frontsprache treffende Bezeichnung für Umsicht, Tapferkeit und Entschlossenheit, war bei uns Mannschaft auch gleichzeitig der Ausdruck höchster Wertschätzung. gez. Gustav Priebe |
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